Die Haftung bei einer Aktiengesellschaft

Die Haftung bei einer Aktiengesellschaft ist vom Gesetz dem Grunde nach klar strukturiert. § 1 Abs. 1 S. 2 AktG ordnet an, dass für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen haftet. Wenn man also, aus welchem Rechtsgrund auch immer, einen Anspruch gegen eine Aktiengesellschaft hat, dann kann man sich grundsätzlich auch nur an die AG halten, das private Vermögen der einzelnen Aktionäre, die hinter der Gesellschaft stehen, ist zum Zweck der Regulierung von Gesellschaftsschulden dem Grunde nach tabu.

Diese strikte Trennung zwischen dem Vermögen der Gesellschaft auf der einen Seite und dem privaten Vermögen der Aktionäre andererseits macht auch Sinn, um Kapitalgebern als Aktionären die Sicherheit zu geben, dass sich das wirtschaftliche Risiko ihres Investements auf die gehaltenen Aktien beschränkt. Der maximale wirtschaftliche Schaden kann für einen Aktionär in der Insolvenz der AG und der Entwertung der von ihm gehaltenen Aktien bestehen. Darüber hinaus muss ein Aktionär im Falle einer Firmenpleite nicht befürchten, für die Schulden der Aktiengesellschaft auch noch mit seinem Privatvermögen einstehen zu müssen.

Es gibt aber keine Regel ohne Ausnahme:

Ausnahmsweise Durchgriffshaftung auf die Aktionäre

Im Normalfall wird kein Gläubiger auf die Idee kommen, in Anbetracht der deutlichen Ansage in § 1 Abs. 1 S. 2 AktG und der dort angeordneten Trennung zwischen dem Vermögen der Aktiengesellschaft auf der einen Seite und dem privaten Vermögen der Aktionäre andererseits einen Aktionär für gegen die Aktiengesellschaft gerichtete Forderungen in Anspruch zu nehmen.

Jede Klage gegen einen Aktionär der Siemens AG oder der Deutschen Bank AG wegen einer Forderung, die sich gegen die Aktiengesellschaft richtet, hätte bei Gericht keinerlei Erfolgsaussichten und würde mit kurzem Hinweis auf § 1 Abs. 1 S. 2 AktG abgewiesen werden.

Diese auf den ersten Blick eindeutige Rechtslage kann sich aber dann ändern, wenn bei der Aktiengesellschaft selber nichts mehr zu holen ist. Im Fall der Insolvenz einer Aktiengesellschaft wird es auf einmal interessant, darüber nachzudenken, ob die vom Gesetz angeordnete Trennung zwischen dem Vermögen der Aktiengesellschaft und dem Vermögen des einzelnen Aktionärs wirklich in jedem Fall zwingend ist.

Die Gerichte und insbesondere der Bundesgerichtshof als oberstes deutsches Zivilgericht haben auf solche Versuche, die Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern einer Körperschaft (eingetragener Verein, GmbH, Aktiengesellschaft) aufzulösen, mehr als zurückhaltend reagiert.

Regelmäßig wird von den Gerichten auf das grundsätzlich immer zu beachtende Trennungsprinzip hingewiesen. Eine Aufhebung der Trennung kommt nach der Rechtsprechung dann in Betracht, wenn dies der „Grundsatz von Treu und Glauben“ gebietet oder ein rechtsmissbräuchliches Handeln eines Aktionärs sanktioniert werden soll.

So zum Beispiel (für den eingetragenen Verein) BGH, Urteil vom 10. 12. 2007 - II ZR 239/05:

Wer sich also intensiver mit der Durchgriffshaftung auf einen Aktionär einer Aktiengesellschaft beschäftigen will, steht vor dem Problem, dass es keine von den Gerichten geschaffenen Leitlinien gibt, die den Tatbestand einer Durchgriffshaftung näher definieren würden. Man hat sich vielmehr mit durchaus unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Treu und Glauben“ oder „Rechtsmissbrauch“ zu beschäftigen, wenn man zu einer persönlichen Haftung eines Aktionärs gelangen will.

Vor allem in folgenden Fallgruppen wird von der Literatur eine Durchgriffshaftung auf die Gesellschafter diskutiert:

  • Aktionäre verstoßen gegen die gesetzlichen Schutzvorschriften zur Aufbringung und Erhaltung des Haftungskapitals und gefährden dadurch den Bestand der Aktiengesellschaft.
  • Unzulässige Vermischung von Vermögen der Gesellschaft auf der einen Seite und der Gesellschafter andererseits.
  • Missbrauch der Rechtsform der Gesellschaft durch „Zugriffe der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen, welche die aufgrund dieser Zweckbindung gebotene angemessene Rücksichtnahme auf die Erhaltung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten in einem ins Gewicht fallenden Maße vermissen lassen" (BGH, Urteil vom 24. 6. 2002 - II ZR 300/00).
  • Missbrauch von Konzernleitungsmacht durch einen beherrschenden Gesellschafter, der keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt (BGH, Urteil vom 29.03.1992 - II ZR 265/91).
  • Existenzvernichtungshaftung, wenn eine Gesellschaft infolge der Eingriffe ihres Alleingesellschafters ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann (BGH, Urteil vom 17. 9. 2001 - II ZR 178/99).